Der Gott des Gewimmels

Udo W. Gottfried und die Kunst, niemandem gefallen zu müssen

Udo W. Gottfried ist eines der wertvollen Wiesbadener Ur-Gesteine, die ihre Bildende Kunst von Kommerz noch zu trennen wissen. Seine Virtuosität in diesem Bereich ist mehr als dieses Porträt wert – sein Weg zur Kunst eine offene Spielwiese; die Werke sind einzig, aber nie artig. Durch sie gelingt der Blick in den Menschen und dessen Seelenlandschaft. Eine stetige Transformation, die von spontanen Impulsen lebt und mit viel Leicht-Sinn für die schönen Seiten des Lebens empfänglich bleibt. Von Einem, der die Welt zum Leuchten bringt.

 

Von Yvonne Kirchdorfer

 

Die Einhornhöhle im Harz ist ein ein uraltes Riesengebilde bestehend aus riesigen, mystischen Tropfsteinhallen und Seitengängen, in denen schon römische Kaiser auf einem Boden aus urzeitlichen Tierknochen gewandelt sein sollen – man erwählte sie zum Setting der Netflix-Serie „Dark“. Am Ende einer Tour erklärt der Führer, dass Urmenschen dort eine kleine Skulptur hinterlassen haben, einen offenbar erstaunlichen archäologischen Fund. Dieser verweise darauf, dass bereits Neandertaler nicht nur reine Nutzgegenstände, sondern Bilder und Skulpturen aus rein ästhetischen Motiven geschöpft haben müssen – ein spielerischer Erfindergeist, der gegen alle bisherigen Annahmen spricht. „Kunst um der Kunst willen“, wo findet man das heute noch? Schließlich will der Kulturschaffende leben können und seine Werke vermarkten, neuerdings sogar an Krypto-Börsen im Metaverse. Anders bei Udo Gottfried. Seine Kunst beherrscht das Sein mehr als das Haben. Wer im Atelier in der Stift- straße 24 strandet, befindet sich jenseits aller Bestrebungen, aus Kunst vorwiegend Profit zu ziehen oder die Erwartungen eines Publikums zu erfüllen. Gottfried wirkt völlig bei sich geblieben, obwohl seine Ergebnisse seit Jahrzehnten vielbeachtet sind und materielle Wertschätzung durchaus verdienen.

 

 

KUNST STATT KOMMERZ: DIE WELT UDO W. GOTTFRIEDS

 

In Gottfrieds Atelierräumen betritt man eine Welt, in der die Schaffenslust alles andere überdauert hat. Als einziges „Marketing-Symbol“ begegnet dem Besucher das schwarze, dick gepinselte Logo„GO“, das als Namensabbreviatur animiert loszulegen, zu ent- decken, in Aktion zu treten. „Für Marketing fehlen mir die Synapsen“, gibt „GO“ unumwunden zu und, mit Verlaub, macht ihn das ziemlich sympathisch zusätzlich zur ausbalancierten Ausstrahlung von einem, der seinen Weg in die Kunst zu Recht gefunden und mit Hingabe ausgebaut hat.

 

 

EINLADUNG ZUM MITSPIELEN: DAS ATELIER

 

Über den Hof um die Ecke zum Atelier springt unter dem selbstgepflanzten, prächtig gedeihenden Feigenbaum sogleich ein knallbuntes Mobile ins Auge, eine Symbiose aus Miniaturspielzeugen und Figürchen, zusammengewachsen zu einer Art Ganzjahresweihnachtsbaum. Er hängt an einer Art Holzlaube, die Kulisse dafür bilden ein indischer Schrank, himmelblauer Stuhl und Bistrotisch mit rosa Blumengedeck – Pippi Langstrumpf lässt grüßen. Wer sich vor Relikten aus der Kindheit fürchtet, der sollte an diesem Punkt lieber nicht in das Atelier nach rechts einbiegen. In Gottfrieds Räumlichkeiten stolpert das Auge über geschnitzte Schiffe, Roller, Flugzeugmobiles, Skateboards, Holzköpfe, Schaukelpferde, Schirme, Setzkästen, Seifenkisten, bemalte Äste ... ein Dachboden voller Erinnerungen verschmilzt mit Tuben, Scheren, Pinseln, Abklebeband und riesigem, bemalten Werktisch zu einer kunstvoll ausstaffierten Bastelstube, einer sorgsam arrangierten Kunstkammer in der jederzeit gewirkt und gespielt werden darf. Ein perfekter Platz, um außer Rand und Band zu geraten, aus dem Mund hängende Spaghetti mit der Schere zu schneiden und mit Konrads Superkleber von der Decke zu hängen, so wie Gottfrieds Tier- und Menschskulpturen, die einem kopfüber von oben frech ins Gesicht blicken.

 

 

DER GOTT(FRIED) DER KLEINEN DINGE: DIE DETAILS

 

Aber halt. Der gepflegte Übermut des Atelierraumes setzt sich selbst ernstzunehmende Grenzen, eröffnet sich dem Eintretenden ein Feld geschickt vereinter Gegensätze. Welch dichte, intensive Komposition aus Grobem und Grazilem, aus Dunklem und Lichtem, aus Altem und Neuem, aus Praktischem und Dekorativem. Wer das Eindeutige, Durchdesignte, Aalglatte liebt, dem versagt spätestens an dieser Stelle die Aufnahmekapazität. Doch ein aufmerksam durch die Szenerie schwenkendes Auge, das nach Belieben „zoomt“, nimmt die liebevollen Objektdetails wahr und die Art und Weise, wie sie innerhalb der gewachsenen Struktur sinnvoll verortet sind. Aus dem Staunen ist nicht mehr herauszukommen.

 

Im scheinbaren Kinderzimmer wirkt nichts kindisch, planlos oder fehl am Platz. Oft hat ein Kunstwerk sein Pendant in einem anderen Gegenstand gefunden: Um einen Globus im Regal winden sich Spielzeugflugzeuge, über einem weißen Holzschiff klebt die schwarze Schattenriss-Version an der Wand. Auf einer riesigen Hängelampe tanzt eine braune Tierskulptur, auf dem Regal darunter durchbohren Schraubenzieher kleine Holzfiguren wie hinterhältige Feinde auf dem Schlachtfeld, allerdings mit wohlmeinendem Augenzwinkern ihres Schöpfers und keineswegs morbide. Mittendrin ein Schrein als „Energiezentrum“, in dem fürsorglich persönliche Dinge arrangiert wurden, die Freunden und oder Verstorbenen gewidmet sind. Im Gedächtnis bleibt ein Mix aus Bildern, Figuren Kindheitssymbolen und einer auf dem Boden gebliebener Spiritualität, mit denen Gottfried, wie er seine Kunst selbst beschreibt, mit„traumwandlerischer Leichtigkeit“ Nähe erzeugt.

 

In weiteren Räumen stapeln sich menschliche Holzskulpturen, oftmals mit grob geschnittenen Gesichtern und rauen Linien, deren treffende Mimik angesichts des Werkzeuges, einer Kettensäge, eine beachtliche Leistung bleibt. Eine riesige Werkbank erzählt von tausenden Stunden „Schreinerarbeit“. Fokussiert man sich auf die Einzelheiten, so blitzen in jedem kleinen Kunstwerk, in jedem Arrangement die Funken der kindlichen Freude auf, mit denen sie von Gottfried figürlich wie abstrakt in ihre künstlerische Form gebannt wurden. Als wolle die Schöpferseele ihr Feuer an den Betrachter weitergeben und ihn mit visueller Leichtigkeit zu seinem Wesensursprung zurückführen, der uns im Alltag meis- tens abhandenkommt: die Lust am Schöpfen, an spontanen Eingebungen und flüchtigen Bildern, die wir nicht festzuhalten vermögen.

 

 

DIE WIEGE DES KÜNSTLERS: BIOGRAPHISCHE FAKTEN

 

Udo W. Gottfried wurde die Kunst in die Wiege gelegt – und die hat er bis heute nicht verlassen, sondern sich darin stetig weiterentwickelt. Bereits als Kind bastelte er sich sein Spielzeug selbst, kritzelte und gestaltete, ließ seine Schiffe mit dem Onkel im Neckar oder in Kiesgruben schwimmen. Über viele Jahre wurde dann der Leistungssport zum „Lustzentrum“, bis sein Kunstlehrer ihn ermutigte, die Kreativität zur Profession zu machen. Vor allem der vor langer Zeit verstorbene Patenonkel Werner hat den Künstler früh geprägt und in einer kleinen Holzwerkstatt in Heidelberg unbewusst den späteren Weg bereitet. Werner baute dort in seiner Freizeit mit Klein-Udo Flugzeuge und Schiffe aus Holz ... der damals Fünfjährige durfte immer dabei sein und „mitbasteln“. Gottfried trägt Onkel Werner bis heute daher nicht nur im Her- zen, sondern er ist als zweite Initiale „W.“ in Udo W. Gottfried zum fes- ten Namensbestandteil geworden.

 

Seit 1983 ist der studierte Kommunikationsdesigner, Kunsthistoriker und Philosoph international mit Ausstellungen unterwegs, in diesem Jahr in Wiesbaden mit einer Kinderschaukel in den Kurparkanlagen so- wie bei„Poesie im Park“, wo er eine Installation mit 17„telefonierbaren“ Schirmen zeigte, für Anrufe in den Kosmos oder bei der Traumfrau am anderen Ende der Wiese. Gottfried dozierte an verschiedenen Hoch- schulen, erhielt diverse Kunstpreise, gibt private Kurse in seinem Ateli- er und leitet wochentags die Kulturwerkstatt im Wiesbadener Jugendhilfezentrum Johannisstift, dessen ehemalige Taufkapelle von ihm in eine ähnlich erhellende Wunderwerkstatt umgestaltet wurde wie das Atelier in der Stiftstraße. Sein Spektrum erstreckt sich von Malerei (v. a. Schattenriss) über Skulptur, Grafik, Keramik, Installation bis hin zur Performance.

 

 

FREUDE SCHÖNER GOTTFRIED- FUNKEN: DIE KINDHEIT ALS EWIGER QUELL

 

„Das Basteln in meiner Kindheit habe ich ins Erwachsenenalter mitgenom- men. Es bedeutet für mich einen ewigen Quell an Freude.“ Das sieht man Gottfried an, scheint es doch schier unfassbar, dass dieses baumstammbearbeitende, jugendlich wirkende Energiebündel im zumeist schwarzen T-Shirt im November dieses Jahres 70 Jahre alt wird. Er bindet in seine Kunst das zutiefst Menschliche ein, über das keiner aufhören soll sich zu wundern. „Wo die Menschen Wur- zeln schlagen“ steht über einem seiner Bilder. Zu sehen ist eine Frau, der ein ähnliches Wurzelgewirr aus dem Kopf wächst wie dem Baum in die Erde daneben.

 

Das Wurzeln (in) der Natur ist eines von Gottfrieds typischen Motiven und mit dem Gedanken daran ist er sicher nicht allein. „Der Mensch über- lebt nur, wenn er sich mit der Schöpfung verbindet“, sagte der Naturphilosoph Gusto Gräser Ende des 19. Jahrhunderts, bevor er sich entschied, nackt in einer Höhle zu leben und sich von dem zu ernähren, was die Erde ihm bot. Wer Gottfrieds Werke sieht, versteht, dass die Lössung für uns Menschen nicht im vermeintlichen Fortschritt liegt oder gar im von Künstlicher Intelligenz getriebenen Transhumanismus, sondern dass die Wahrheiten des Lebens sich in unseren Ursprüngen, in uns und unseren Bewusstseinszuständen offenbaren. Diese Verbindung zur Natur entsprang bei ihm ebenfalls in der Kindheit, in der er draußen viel Zeit verbrachte. Heute pflanzt er seine organischen Kunstwerke bisweilen in die Umgebung, der sie entstammen, zum Beispiel Alpakawolle in Bäume oder ein Holzschaukelpferd nahe des Rambacher Waldsportpfades, wo in Kooperation mit anderen Künstlern eine kleine Kolonie an Waldkunstwerken zu bestaunen ist.

 

 

HAND- IST KOPFARBEIT: DIE MENSCHLICHE FIGUR, IHR SEIN UND DENKEN

 

„Kunst ist für mich Seelennahrung“, sagt Gottfried, ein ewig währendes „Feld der Abenteuer“. Es ist Spiel, Staunen, anarchische Suche, Spaß und zugleich immer Auseinander- setzung mit dem Inneren. Ein Dialog mit sich selbst. „Der Schaffende er- kennt in diesem Prozess die eigene Authentizität“. Bei der Arbeit schaltet der Künstler zwecks Selbstreflexion und Selbsterweiterung den Kopf aus. „Dann passieren neue Sachen in mir“, erzählt er. „Beim Grundieren zum Beispiel. Einfach Schwarz über ein Blatt malen und sehen, wie das Weiß verschwindet ist für mich ein wunderschöner, meditativer Zustand. Euphorie pur.“„Alles was ich erschaffe ist daher eine Art Selbstporträt“, was ins- besondere für die skulpturalen Objekte gilt. Gottfried präsentiert sich dort ganz anders als der Revoluzzer Auguste Rodin, der als „Denker“ seinen Kopf auf die Hand stützt, seinen Kopfinhalt aber nicht preisgibt. Gottfried sieht die Freude im geistigen Ausdruck, im Schönen und visualisiert seine Gedanken für den Betrachter in einer physisch höheren Ebene: „Ich beginne oft mit dem Kopf, und setze später darüber, was ich damit transportieren will“. Erst die Gedanken fließen lassen, dann erschaffen – der Kopf, ob als Malerei oder Skulptur, dient dem Künstler als Symbol für sein geistiges Gefäß, dessen Inhalt ein sich wandelndes Universum bleibt. Insofern stehen die menschliche Skulptur und das Grundprinzip des Seins immer im Mittelpunkt seiner Arbeiten.

 

 

BLACK FOR GOOD: ZWISCHEN STRUKTUR UND FIGUR

 

Bei allem ist Schwarz Gottfrieds bevorzugte Farbe, die für ihn energetisch und voller Kraft bleibt, unter anderem, um Kontraste und starke Bilder zu erzeugen und das„Hin und Her zwischen Struktur und Figur“ zu betonen, wie er es nennt. Mit kräftigen, schwarzen Pinselstrichen erschafft er geschlossene Figuren und Formen, abstrakt und figürlich zugleich. Dazwischen zeigen sich feine Tuschestriche, Kleckse, organische Strukturen und Muster, die dem scheinbar Einfachen eine besondere Komplexität mitgeben. Brüche bedeuten für Gottfried die spannendsten Momente, ob zeitlich oder visuell. Nichts wirkt jedoch düster oder abgründig, es spiegelt sich keinerlei „Vorhof zur Hölle“ in seinen Werken, sondern sie zeigen geradlinig, entschlossen und auf den Punkt die Energie und Freude am künstlerischen Ausdruck.

 

 

KEIN NO-GO FÜR „GO“: DER WEG VOM WIE ZUM WAS

 

Das Spiel steht für den Künstler über allem – Verbissenheit verboten. Für Gottfried gibt es kein Nogo, alles ist offen, alles erlaubt, was sich auf dem Weg zum Kunstwerk ergibt, da liegt für ihn überhaupt erst das Interessante. Aus diesem spielerischen Schaffensprozess heraus entstanden ganze Serien wie die Installation „27 Roller mit Schiffen“, wie so oft eine Hommage an seine Kindheit. Die Werke drücken jedoch nicht einfach ein Ergebnis aus, sondern erzählen zugleich vom Entstehungsprozess. So auch seine „Hochsitzer“, Gottfrieds Schnitzskulpturen auf Stelzen und die persönlichen Ikonen seiner Schaffenslust. Sie waren unter anderem in der Wiesbadener Bergkirche ausgestellt und sind immer wieder Blickfang bei Ausstellungen, wie aktuell zusammen mit der Maastrichter Künstlerkollegin Dorine van der Ploeg in der Galerie Rubrecht Contemporary oder im „Kirchenreulchen” neben der Wiesbadener Bonifatiuskirche, wo der gemeinnützige Verein – welcher auch dieses Kunstmagazin herausgibt – den „Urban Art Space” eingerichtet hat. Dies geschah in Förderkooperation mit der Wirtschaftsförderung Wiesbaden, der Firma Oschatz und den Einzelhändlern Listmann und H&M, um lokale Künstler wie Gottfried großflächig auf Schaufensterplakaten präsentieren zu können. Jedes Jahr kommen zwei neue „Hochsitzer“ hinzu, die frisch geschnitzte Gedanken über dem Kopf tragen und das geistige Innenleben ihrer Protagonisten nach außen sichtbar machen. Die Hochsitzer gehören zu den zentralen Arbeiten, den „Wachstumsprojekten“, in denen ebenfalls Gottfrieds Kindheitserinnerungen stecken: das Hochklettern mitten im Wald, um – ohne jegliche Machtbestrebung – mit spielerischer Leichtigkeit in die Weite und auf alles und jeden herabzublicken. „Ein saugutes Gefühl“, so empfindet er es noch heute.

 

Die „Hochsitzer“ sind Sinnbild für Gottfrieds Arbeitsweise: Aus einer einfachen Basis schafft er etwas Unerwartetes, das wächst. Dem „Wie“ folgt das „Was“, denn das Ziel des Kunstwerks bleibt immer der Weg selbst. Auf diesem ergibt sich für ihn „eine „Energie, die man nicht greifen kann“, die einen mitnimmt wie bei einem „beleuchteten Tannenbaum“, wie er es beschreibt. Gottfried skizziert das Gegenwärtige mitsamt seinem Entstehungsweg auf eine ungebändigte, expressive Weise. Gerade, weil das künstlerische Vorhaben unklar bleibt und keinen Vorgaben folgt, fordert Gottfried das Scheitern an der eigenen Sache immer wieder heraus. So wächst er mit den sich wandelnden Ideen an der eigenen Aufgabe und befördert deren kreatives Potenzial.

 

 

WOLLE WAS KOMME: DER KREATIVE PROZESS

Dieselbe Entdeckungsreise und Freiheit im Tun ermöglicht Gottfried den Menschen, mit denen er zusammen Kunst macht: seinen privaten Schülern, den Jugendlichen aus dem Johannisstift oder befreundeten Künstlern. Er arbeitet nicht ÜBER, sondern MIT anderen. Da geht es auch mal synästhetisch zu, zum Beispiel wenn er sich für fünf Tage mit dem Klangkünstler Axel Schweppe einschließt, um via „Reaktion-Gegenreaktion“ Musik für die Augen bzw. Kunst für die Ohren entstehen zu lassen – nicht umsonst nannte ihn der Kunsthistoriker des Landesmuseums Wiesbaden, Dr. Peter Förster, einen „Multiinstrumentalisten, der alle Medien bespielt“.

 

Während des Zeichenprozesses einfach mal ein Streichholz anzün- den, Keramik mit Ölfarbe bemalen, beseelte Textzeilen wie einen Pinselschwung auf der Leinwand bringen oder zur Gitarre greifen ... un- konventionelle Ideen müssen Gottfrieds Meinung nach gepflegt werden. Beobachten, unterbrechen, ausprobieren ... alles ist erlaubt außer Langeweile. Im Grunde demokratisiert Gottfried die Kunst, ohne selbst politisch zu werden. Er propagiert die Codeverschiebung vom„Learning“ zum kollektiven „Doing“, hin zur Kunst ohne Absolution und Grenzen. So bedauert er, dass die aktiven Künstler in Wiesbaden nicht mehr so stark vernetzt sind und seitens der Kulturpolitik weniger gesehen werden als früher. Er selbst wünsche sich mehr Interaktion und Initiative in der Stadt

.

 

GEISTES GEGENWART UND SELBT-ENTRÜCKUNG: SPIELPLÄTZE FÜR DIE SEELE

 

Seine Inspiration hat sich Gottfried für lange Zeit im Allgäu bei einer befreundeten Künstlerin geholt. Dort entstanden Gemälde und Zeichnungen wie „Im Allgäu gibt’s ka Sünd“ oder „Allgäumädel“, aber auch zahlreiche skulpturale Werke und Installationen. Im Einklang mit der Natur des Allgäus kann er seine Ideen besonders gut großziehen, wenn zum Beispiel ein Morgenschleier zwischen den Bäumen hängt und die ersten Sonnenstrahlen saftige Bergwiesen in goldenes Licht tauchen. Die kleinen, großen Wunder der Natur haben viele von uns verdrängt – Gottfried webt sie ein und bringt sie mit Leichtigkeit zurück ins Bewusstsein. Zugleich bleiben seine Kunstwerke immer ein Spiegel der verschachtelten, menschlichen Seele, geboren aus dem Hier und Jetzt. Diese Geistesgegenwart wirkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, Kindheitsromantik und Spiritualität. Sie schlägt Wurzeln, wo sie gerade verweilen mag. Am Ende gelingt es ihm immer, all die spielerischen Momente und Widersprüche in einem homogenen Gesamtwerk zu vereinigen. Allein darin liegt eine wahre Kunst.

 

„Glaube nicht alles, was du über mich denkst“, lautet der Titel eines seiner Gemälde. Genauso wenig darf man das glauben. was hier geschrieben steht. Wer Gottfrieds schöpferischen Kosmos erfassen will, muss sich schon selbst auf den Weg zu ihm und seinen Werken machen.