Kaunas und Wiesbaden: Bitte zusammenrücken

EXPRESSIS VERBIS:   Die feuilleton-Kolumne

Alle Fotos: Dorothee Baer-Bogenschütz, baerbog@aol.com
Alle Fotos: Dorothee Baer-Bogenschütz, baerbog@aol.com

 

 

...und gemeinsam auf dem Fluxus-Klavier spielen.

Denn Fluxus verbindet Kaunas, Litauens schöne Stadt an der Memel,

mit Wiesbaden und ebenso mit Bad Nauheim.

 

George Maciunas

 

 

Von Dorothee Baer-Bogenschütz

 

 

 

Auch Bad Nauheim hat Fluxus-Verbindung: Nach der Flucht in den Westen lebte der junge George Maciunas (1931-1978), Sohn eines Litauers und einer Russin – ob solche Verbindungen wohl derzeit möglich wären? - vorübergehend in der Wetterau-Stadt. Die vierköpfige Familie war mit den abziehenden deutschen Soldaten von seiner Geburtsstadt Kaunas dorthin gelangt. Der Vater Alexander M. Maciunas fand Arbeit bei den Siemens-Schuckertwerken in Frankfurt.1948 zog

es ihn jedoch in die USA.

 

Er erhielt eine Professur in New York, wo George Bildende Kunst, Grafik und Architektur studierte. Später, in Pittsburgh, sattelte er darauf noch Musikwissenschaft und anschließend – zurück in New York - Kunstgeschichte. 1960 wollte George dort mit Freunden, unter ihnen der litauische Galerist Almus Salcius und Landsmann Jonas Mekas (1922-2019), dem ebenso wie Maciunas die Weltberühmtheit in die Wiege gelegt worden war, einen litauischen Literaturklub gründen. Dann jedoch verständigten sie sich auf ein Magazin. 1961 erhielt es den Namen “Fluxus”. Die Lexikon-Definition des Begriffs las Maciunas damals Yoko Ono vor: “Reinigen. Flüssige Entladung, vor allem exzessive Entladung der Gedärme oder anderer Körperteile. Kontinuierliches Bewegen oder Vergehen wie etwa bei einem fließenden Strom.” Im Herbst 1961 zog der nun fast dreißigjährige George zusammen mit seiner Mutter nach Wiesbaden, war als Grafiker für die US Air-Force im Einsatz und gründete die Fluxus-Gruppe. Der Rest ist (Fluxus-)

Geschichte. Seinen Taufnamen hatte er schon zuvor geändert. Auf der Plakette an seinem Elternhaus steht noch “Jurgis”.

 

Wie pflegt Kaunas sein Erbe darüber hinaus? Sicherlich nicht ganz so, wie es sich Maciunas-Fans wünschen würden. Das überrascht, zumal Kaunas im vergangenen Jahr das Label der europäischen Kulturhauptstadt trug und Maciunas in dessen Mittelpunkt hätte stellen können. Warum geschah das nicht? Die Stadt wollte doch Segel setzen, um in der internationalen Wahrnehmung ihre zeitgenössische Marschrichtung verankert zu sehen und nicht länger nur mit den markanten Gebäuden der Zwischenkriegszeit samt Oceanlineroptik punkten, von denen sie bemerkenswert viele besitzt.

 

Aber “Kaunas 2022” stand unter flackerndem Stern, war pandemie- und kriegsgebeutelt. In der Ausstellung Yoko Onos, 2022 in der Gemäldegalerie mit einer Sonderschau zu Gast, grub sich die wandfüllende Zeile ins Mark: “War is over if you want it.”

 

FLUXUS

 

Yoko Ono, als megafluxuriös verehrt, bekam ihre Schau in eben dem Museum, wo Maciunas eine - permanente - räumlich leider beengte Ausstellung gewidmet ist. Eine Handvoll Besucher ist schon zu viel. Erfreuen muss - allemal Wiesbadener - indes, dass Michael Berger ebenfalls präsent ist: per Handbibliothek, die in dem Fluxus-Kabinett konsultiert werden kann. Das Maciunas-Standardwerk, das der Wiesbadener Kunstsammler und Harlekinäum-Betreiber herausgegeben hat, macht Bergers Fluxus-Engagement sichtbar für alle. Nur können aufgrund der Petersburger Hängung nicht alle Grafiken an den Wänden betrachtet werden. Sie hängen zu hoch und zu dicht.

 

Unterm Strich ist in der Maciunas-Stubeviel Luft nach oben hinsichtlich einer angemessenen Präsentation,Die Gemäldegalerie war 1979 entstanden und ist nicht nur baulich-ästhetisch in die Jahre gekommen. Kulturminister Simonas Kairys beschwor im Kulturhauptstadt-Abschlussstatement eine bessere Zukunft für das Kulturleben: “Ich fühle, dass viele große Dinge gerade erst beginnen.” Wer solches äußert, muss Schätze heben helfen. Generell dürfte mit dem George-Maciunas-Pfund mehr gewuchert werden - eine Maciunas-Route drängt sich auf -, zumal das Haus, in dem der Fluxus-Pionier als Kind lebte, zur modernistischen Architektur zählt. Der Platz vorseinem Elternhaus ist nach ihm benannt, und bietet gewissermaßen Fluxus nonstop, ist er doch immer in Bewegung: Es handelt sich um einen Verkehrskreisel , den Fußgänger gar nicht betreten können.

 

 

In Istanbuls Stadtviertel Fatih liegt das neu konzipierte Archäologische Museum mit herausragenden antiken Büsten
In Istanbuls Stadtviertel Fatih liegt das neu konzipierte Archäologische Museum mit herausragenden antiken Büsten

MIKALOJUS KONSTANTINAS ČIURLIONIS

 

Dem Zauber litauischer Landschaften kommt näher, wer den Maler-Komponisten Mikalojus Konstantinas Čiurlionis studiert: im nach ihm benannten M.K. Čiurlionis National Museum of Art, ein modernistisches Juwel. Wo bleibt in Kaunas aber ein Maciunas-Museum? Vilnius besitzt seit 2007 sein vom Namensgeber selbst eröffnetes Jonas Mekas Visual Arts Center, wo unter anderem Fluxus-Werke zu sehen sind. Womöglich wären für ein Maciunas-Museum gar nicht genügend Exponate verfügbar, aber in digitaler Zeit winken virtuelle Möglichkeiten.

 

 

EUROPÄISCHE KULTURHAUPTSTADT

 

Unterdessen gilt “Kaunas 2022” offiziell als “Erfolgsstory”. 2022 strömten rund 1,3 Millionen herbei, wobei nur 1600 Deutsche an die Memel kleckerten, indie in Kaunas die Neris mündet. Das 26-Millionen-Euro-Budget wurde ausgeschöpft, dem Fundraising verdanken sich weitere drei, ins Marketing flossen 1,2 Millionen.

 

Klar ist: Dem Kultursektor gab die EU-Auszeichnung einen Schub. Der Krieg in der Ukraine jedoch kostete nicht zuletzt Besucher aus Osteuropa, überraschte allerdings kaum. Auf Putins Aggression war man lange vorbereitet und kann es sich jetzt nicht verkneifen, uns Deutsche als

ein wenig naiv zu bedauern..

 

In Kaunas wird Freiheit riesengroß geschrieben, nimmt man das Reiterstandbild vor der Burg ernst. Der litauische Bildhauer Arūnas Sakalauskas schuf es 2018 ungeniert im Stil traditioneller Monumente dieser Art. Seine Figur wird “Freiheitskämpfer” genannt, entspringt als dreidimensionale Version des Reiters im seit mehr als 500 Jahren gebräuchlichen litauischen Staatswappen jenem förmlich.

 

Maciunas‘ Mutter, Balletttänzerin an der litauischen Staatsoper, gibt mit Anlass, sich in Kaunas die Paul-Abraham-Operette “Ball im Savoy” anzusehen, in Berlin uraufgeführt im Jahr nach Maciunas‘ Geburt und selbstredend kein Beitrag zu „Kaunas 2022“, wiewohl man den Stoff dank türkischem Pascha, amerikanischem Jazz und überraschenden Allianzen mit munteren Seitenhieben hübsch hätte bürsten können auf die Verhältnisse von heute.

 

Gegenwartskunst vom Feinsten hatte 2022 Arvydas Zalpys, Künstler und Leiter der 1997 von der Kaunas-Sektion der Lithuanian Artists’ Association gegründeten Galerie Meno Parkas, zu bieten dank einer Kooperation mit der Stuttgarter Galeristin Brigitte March, die ihre Konzeptkünstlerriege in Kaunas groß herauskommen ließ. Das Band hält schon länger, weitere Kooperationen sollen folgen.

 

 

TÖCHTER UND SÖHNE LITAUENS

 

Maciunas und Mekas verbinden Litauen mit Wiesbaden und Mainz. Mekas kam nach dem Krieg in Wiesbaden in ein Displaced-Persons-Lager, studierte in Mainz Philosophie, als der neun Jahre jüngere Maciunas in Bad Nauheim zur Schule ging. Was für Koinzidenzen. Zu wünschen ist beider Heimat, dass wir Deutschen endlich Litauen entdecken, uns ein Bild und bewusst machen, welche Impulse von Söhnen und Töchtern des kleinen Landes ausgingen.

 

In Kaunas wird Nina von Stauffenberg (1913-2006) geboren, die als Internatsschülerin in Heidelberg ihren späteren Mann kennenlernt, den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Sein Mut kostet ihn das Leben. Ebenfalls aus Kaunas stammt Emma Goldman (1869-1940), Tochter eines jüdischen Theaterdirektors. Sie fesselt die Geschichte der politischen Attentate im zaristischen Russland. In den USA wird sie eine namhafte Anarchistin, Friedensaktivistin und Kämpferin für Frauenrechte. 

 

Das als Industrie-, Bildungs- und Wissenschaftsstandort ambitionierte Kaunas unterhält Partnerschaften mit Städten und Regionen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, darunter Los Angeles, das ukrainische Charkiw, die russische Exklave Kaliningrad und der Kreis Lippe als einziger Partner in Deutschland. Wieso nicht Wiesbaden?