Vor 60 Jahren: Die Geburtsstunde der Fluxus-Bewegung

Ein Zeitzeugenbericht von Gerrit von Velsen

Emmett Williams, Ben Patterson und Geoffrey Hendricks
Emmett Williams, Ben Patterson und Geoffrey Hendricks

Es war am 21. September 2002, also vor 20 Jahren, zum 40. Jubiläum der Geburtsstunde der FLuXuS-Bewegung am 1. September 1962, seinerzeit im Vortragssaal des Museums in Wiesbaden. Und ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen. Es war der Tag, an dem ich so geschwitzt habe wie nie zuvor und nie mehr danach. Sie werden es ahnen, dies allein ist nicht der Grund, dass ich Sie heute in einer Zeitreise dorthin entführen will.

 

Ich entführe Sie aber nicht ins Museum, sondern in Michael Bergers Humorkirche nach Wiesbaden-Erbenheim, wo sich an diesem Tage Viele der noch lebenden FLuXuS-Protagonist*innen trafen, um unter der Regie von Prof. Geoffrey Hendricks zusammen mit den FLuXuSFREUNDEN am wohl komplexesten und fast unspielbaren und daher fast nie aufgeführten Performance-Stück„FLuXMesse“ mitzuwirken.

 

 

Die damals 73jährige Takako Saito schwebt als Taube durch die Humorkirche, wo sie von Eisbär und Gorilla in Empfang genommen wird.
Die damals 73jährige Takako Saito schwebt als Taube durch die Humorkirche, wo sie von Eisbär und Gorilla in Empfang genommen wird.

George Maciunas, der „Urvater“ des FLuXuS, der als 13-jähriger „Jurgis“ mit seinen Eltern kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges aus Angst vor der russischen Armee aus seiner Heimat Litauen nach Deutschland floh und wie später Elvis Presley in Bad Nauheim lebte und nach einem Jahrzehnt in den USA Ende 1961 für anderthalb Jahre als Grafikdesigner in Wiesbaden bei der US Air Force arbeitete, ist der Partiturschreiber der FLuXMASS. Diese wurde außer in Wiesbaden bislang wohl nur in New Brunswick mit der Rutgers University aufgeführt. Dort fanden schon 1963 die Yam Festivals statt und dort lehrte Prof. Hendricks um die Jahrtausendwende. Mit seinen Studierenden, von denen er mehrere nach Wiesbaden zur einmaligen Aufführung mitbrachte, erarbeitete er eine spektakuläre Inszenierung zu deren Höhepunkt der Flug der Taube durch das gesamte Kirchenschiff gehörte. Die damals 73-jährige, japanische FLuXuS-Künstlerin Takako Saito (bis Ende Oktober 2022 im Nassauischen Kunstverein im Projekt „FLUXUS SEX TIES / Hier spielt die Musik!“ vertreten) schwebte als Taube atemberaubend in dem von ihr erschaffenen Klangkleid Nr. 1 an einem Drahtseil von der Empore zum Altar. Dort erwarteten sie Emmett Williams, Ben Patterson, Milan Knížàk, Ann Noel (ebenso in „FLUXUS SEX TIES / Hier spielt die Musik!“ vertreten, wie u.a. auch Yoko Ono, Alison Knowles, Carolee Schneemann, Charlotte Moorman und Mary Bauermeister) sowie 4 Studierende der Rutgers University als Priester*innen, Messdiener*innen und allerlei Getier. Trotz oder besser als Teil der professoralen Inszenierung agierten alle zwar in vorgegebenen Rollen, aber improvisativ, frei und auch die Mitspielenden überraschend. Ein wildes Spektakel, möchte man fast meinen. Ja, aber auch ein fluxiv-ernsthaftes Unterfangen. Immerhin waren alle durchdrungen von der Vision des großen FLuXuS-Initiators und Partituren-Schreibers Georg Macunias, der sich zeitlebens immer auch ein wenig von der Neugier des kleinen Jurgis erhalten hatte.

  

Prof. Hendricks instruiert die beiden Gorillas und den Frosch
Prof. Hendricks instruiert die beiden Gorillas und den Frosch

Jetzt werden Sie sich fragen „Na, schön, aber was hat das mit dem großspurig angekündigten „Schweißausbruch“ des Verfassers zu tun? Warten Sie es ab! Auch wenn aus allen Ecken der Welt die FLuXuS-Protagonist*innen angereist kamen, um sofort nach der Aufführung wieder auseinander zu stoben, so kamen auch etliche Mitglieder der veranstaltenden FLuXuSFREUNDE zu ihrem Einsatz.

 

Während Michael Berger als Frosch ein beschwingtes Hüpfen zelebrierte, agierte Birgit Weidmann als Eisbär und der Verfasser als schwerfälliger Gorilla im dicken Fell und Affenmaske. Unter den Kostümen war es nicht Lampenfieber, dass über Stunden alles pitschnass werden ließ, sondern die stickige, brütende Hitze. Am Ende waren wir alle, die Teil dieses großartigen „Events“ sein durften, erschöpft und glücklich und – wie gesagt – nass.