Aktuelle Ausgabe feuilleton Frühjahr/Sommer 2023

Von Ende März an ist das Kunstmagazin für Mainz/Wiesbaden in allen Kulturorten und in vielen Cafés kostenfrei zu haben. Viel Freude damit  :)


Kunst für Alle

Von Gudrun Rothaug

 

Moderne und zeitgenössische Kunst steht in unseren Parkanlagen, vor Gebäuden und Plätzen. Sie richtet sich an alle und prägt auch den öffentlichen Raum. In diesem Frühjahr werden drei farbige Betonskulpturen als „Kunst am Bau“ vor dem Wiesbadener RheinMain CongressCenter realisiert und in Mainz wird eine zeitgenössische Plastik die Rheinufer-Galerie erweitern. Wir berichten über Neues und beispielhaft über entdeckenswerte Werke in beiden Städten – auch über den Wiesbadener Kunstsommer 2023, der unter dem Titel „Fluxus Sex Ties“ dieses Mal keine Installationen und Skulpturen zeigt, sondern den öffentlichen Raum performativ bespielt.

 

„Der Schlüssel des Stundenschlägers“ von Hans Arp im Mainzer Zollhafen, @ Gudrun Rothaug
„Der Schlüssel des Stundenschlägers“ von Hans Arp im Mainzer Zollhafen, @ Gudrun Rothaug

Bewegtes Wasser in Beton - Skulpturen von Emilia Neumann

Faszinierend unvertraut und wesenhaft wirken die drei Betonskulpturen von Emilia Neumann, die in diesem Frühjahr auf der Rasenfläche vor dem Wiesbadener RheinMain CongressCenter aufgestellt werden. Bis zu drei Meter hoch werden die Skulpturen, in denen Malerei und Bildhauerei sich auf faszinierende Weise durchdringen und deren pastellfarbigen Oberflächen fließen, obwohl die Farben im Beton erstarrt sind.

 

Für die „Kunst am Bau“ vor dem 2018 eröffneten RMCC waren zwei Wettbewerbe nötig. Die 37-jährige Emilia Neumann aus Frankfurt siegte im zweiten Verfahren. Sie hat sich vom Thema „Wasser“ inspirieren lassen, das für die Stadt mit ihren Thermalquellen und der Badekultur identitätsstiftend ist. Schon im kleinen Modell erkennt man in den drei amorphen Formen Alltagsgegenstände: den Wasserhahn eines Tanks, einen Eisbecher oder die Fertigungsnummer einer Plastikschale. Emilia Neumann arbeitet mit gefundenen Gegenständen, die sie zerschneidet, zu neuen abstrakteren Formen kombiniert, verformt und abgießt. Sie stellt die großen Plastiken in ihrem Atelier in Frankfurt selbst her, gießt in die Negativformen eingefärbten Beton und entscheidet während des Arbeitsprozesses, wie sie welche Farbe in den Beton mischt, schüttet und spritzt. So spielen auch der Zufall und ihre eigene Geistesgegenwart während der Herstellung eine große Rolle. Emilia Neumann hat u. a. in Ulm und Köln Kunst im öffentlichen Raum realisiert. Um ihre „Congress Sculptures“ in Wiesbaden zu entwickeln, hat sie sich oft vor Ort mit der räumlichen Situation auseinandergesetzt. Wichtig war es für sie, der sehr präsenten Architektur des RMCC und des gegenüberliegenden Museums mit seinem Säulengang etwas Körperhaftes entgegenzusetzen.

 

Warum nicht „mit einem Spiegel in den Himmel bauen“?

 

 

Eine kritische Auseinandersetzung mit „Kunst am Bau“ ist wichtig und es mag nicht immer allen gefallen, was eine Wettbewerbsjury auswählt. Doch dass die architektonische Installation der einflussreichen Künstlerin Monica Bonvicini vor dem RMCC nicht realisiert wurde, kann man als verpasste Chance für Wiesbaden bezeichnen. Schon 2017 hatte sich die Jury im ersten Wettbewerb für Bonvicinis Arbeit „Mit einem Spiegel in den Himmel bauen“ ausgesprochen. Die italienische Künstlerin entwarf eine begehbare Treppe in Form einer Pyramide. Oben hätte ein horizontal angebrachter Spiegel den Himmel reflektiert und eine ungewohnte Perspektive eröffnet. Es gab Vorbehalte und nach langem Streit und vielen Diskussionen um immer neue Auflagen und geforderte Änderungen, hatte Monica Bonvicini 2020 ihren Entwurf schließlich zurückgezogen. „Eine Blamage für Wiesbaden“ urteilte der Vorsitzende des Wiesbadener Kulturrats Ernst Szebedits. In Wiesbaden war das bislang nicht der einzige Streit um Kunst im öffentlichen Raum. 14 Jahre lang dauerten beispielsweise die Diskussionen um ein geplantes Mahnmal von Jenny Holzer an der Marktkirche. Auch die US-amerikanische Künstlerin gab auf und legte ihr  Projekt ad acta.

 

 

„Vertical Highways“ von Bettina Pousttchi für die Rheinufer-Galerie

Arbeiten aus Bettina Pousttchis Werkgruppe "Vertical Highways" - Foto: Hans-Arp Museum @ Norbert Miguletz
Arbeiten aus Bettina Pousttchis Werkgruppe "Vertical Highways" - Foto: Hans-Arp Museum @ Norbert Miguletz

In diesem Frühjahr wird die Rheinufer-Galerie in Mainz durch eine zeitgenössische Skulptur von Bettina Pousttchi erweitern. Ihre Metallskulptur aus lackierten und verbogenen Autobahnleitplanken wird auf dem Rasen am Fischtorplatz aufgestellt und gehört zur Werkgruppe „Vertical Highways“. Für die „Vertical Highways“ verformt Bettina Pousttchi Leitplanken in einer Presse und transformiert die normalerweise horizontal an Straßen und Autobahnen angebrachten Schutzvorrichtungen in vertikale Kompositionen. Leitplanken ordnen und regeln den Raum des Straßenverkehrs; aus dem Kontext genommen, werden sie in den Skulpturen der deutsch-iranischen Künstlerin offen für viele Assoziationen.

 

Bettina Pousttchi, die 1971 in Mainz geboren wurde, arbeitet mit Elementen aus Architektur und Objekten des Stadtraum. So stellt sie Poller mitten auf einen Gehweg oder verarbeitet Fahrradständer und Absperrgittern. Die Stadt Mainz hat Bettina Pousttchis Skulptur „Vertical Highways“ auf Empfehlung des Kulturbeirats gekauft. Der Ortbeirat Altstadt zeigte Widerstand: man wolle keine Autoleitplanken auf einem Rasen, der von der Bevölkerung besser genutzt werden könne. Doch in diesem April wird die Skulptur aufgestellt, nicht wie ursprünglich geplant mitten auf dem Rasen, sondern etwas abgerückt in einer Ecke zum Rhein hin. Die international renommierte Künstlerin, die heute in Berlin lebt, freut sich, dass die Skulptur in ihrer Heimatstadt zu sehen sein wird. Man wünscht ihren „Vertical Highways“ und den anderen neun Kunstwerken der 1969 eröffneten Rheinufer-Galerie ein interessiertes Publikum.

 

Hintergründig vordergründig: „Drei Farben“

"Drei Farben" - das "Schwarz" wird erneuert
"Drei Farben" - das "Schwarz" wird erneuert

Die Nationalfarben „Schwarz-Rot-Gold“ überraschen vor dem neuen Landtagsanbau am Platz der Mainzer Republik eigentlich niemanden. Es ist eine Arbeit des Berliner Künstlers Michael Sailstorfer, die seit zwei Jahren vor dem Mainzer Landtag weht. Was auf den ersten Blick sehr gewöhnlich scheint, entpuppt sich als hintersinnig. Denn die Farben der deutschen Nationalflagge sind getrennt voneinander aufgehängt, an drei neun Meter hohen Messingbügeln. Jeweils ein schwarzes, eine rotes und ein gelbes Stück Stoff flattern vor dem Landtag und verweisen auf die Verwundbarkeit der Demokratie. Sie ist nicht selbstverständlich und muss sich immer wieder bewähren, bewahrt und neu erkämpft werden. In Analogie dazu müssen die Stoffe der Fahnen immer mal wieder erneuert werden, weil sie in Wind und Wetter verschleißen. Michael Sailstorfers „Drei Farben“ wurde 2018 in einem europaweit ausgeschriebenen „Kunst am Bau“-Wettbewerb der Landesregierung Rheinland-Pfalz ausgewählt. Seit 1950 gibt es in der BRD das Programm „Kunst am Bau“ für den Bund und die Länder. Danach soll etwa ein Prozent der Bausumme für Kunst verwendet werden, ein Prinzip, das auch Kommunen und private Bauherren übernommen haben. 

 

„Drei Farben“ vor dem Mainzer Landtag soll auch eine Einladung sein, den Landtag im Rahmen einer Führung zu besuchen und dort im Plenarsaal die Originalfahne des Hambacher Festes zu bestaunen. Das historische Tuch wurde in den vergangenen Jahren aufwendig restauriert; es wehte 1838 zum Fest auf dem Hambacher Schloss im heutigen Neustadt an der Weinstraße. Damals kamen rund 30.000 Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten zusammen und forderten Freiheit, Einheit und Demokratie in Deutschland.

 

 

"Du kommst raus und bist ein bisschen anders"...

"Lebenskraft" vor dem Mainzer Rathaus
"Lebenskraft" vor dem Mainzer Rathaus

 

...aus der Edelstahlröhre, fast sechs Meter lang und drei Meter vierzig breit. Sie steht in Mainz-Kastel in der Nähe der Reduit auf der Kaimauer und ragt einen Meter über den Rhein. In dem glänzenden architektonischen Objekt spiegeln sich der Rhein, die Wiesen und der Himmel. Kommt man näher, zerspringt die Spiegelung der Landschaft in Fragmente, weil in den Stahlkörper ein geometrisches Gitter gefalzt wurde. 

 

Die begehbare Skulptur des Künstlerduos Winter & Hörbelt ist Teil des Regionalparks RheinMain und eine wirkliche Attraktion. Die Pixelröhre wurde im Frühjahr 2022 der Öffentlichkeit übergeben, als Wiesbaden das „Jahr des Wassers“ feierte.

 

So trägt die Skulptur den Titel „Dem Wasser gewidmet“; sie ist begehbar und bietet mit zwei Stahlbänken die Möglichkeit, direkt über dem Rhein zu sitzen. Innen kann man auch über das eigene Spiegelbild staunen, das im Inneren der Röhre extrem in die Länge gezogen in viele Facetten zerspringt. Wolfgang Winter und Bernhard Hörbelt arbeiten hauptsächlich im öffentlichen Raum.

 

Bekannt wurden die beiden mit ihren Kastenhäusern aus genormten Getränkekisten, die schon weltweit ausgestellt waren. Ihre Arbeiten zwischen autonomer Skulptur und Architektur haben immer eine soziale Komponente, sie sind begehbar und verwandeln unsere Perspektive auf die Welt.

 

Die Pixelröhre „Dem Wasser gewidmet“ schlägt eine Brücke nach Mainz. Das Kunstwerk steht in Mainz-Kastel, das seit 1945 zu Wiesbaden gehört, aber im Laufe der Geschichte immer wieder ein Teil von Mainz war. Sitzt man in der Röhre, fällt der Blick über den Fluss direkt auf das denkmalgeschützte Mainzer Rathaus, das Ende der 1960er-Jahren vom dänischen Architekten Arne Jacobsen entworfen wurde. Und auch auf die Rheinufer-Galerie mit ihren Skulpturen von Künstlerinnen und Künstlern, die aus Mainz stammen oder der Stadt verbunden sind.

 

 

Von "Lebenskraft" bis "Inges Idee" in Mainz

Vor dem Mainzer Rathaus macht die faszinierende Großskulptur des spanischen Künstlers Andreu Alfaro ihrem Titel „Lebenskraft“ alle Ehre. Spiralförmig angeordnete Aluminiumstäbe strecken sich in den Raum und scheinen fast tänzerisch Masse und Schwerkraft zu überwinden. Aus jedem Blickwinkel und in jedem Licht kreuzen und strecken sich die Metallstäbe immer wieder neu. Die „Lebenskraft“ steht seit gut 40 Jahren vor dem Mainzer Rathaus und ist ein Geschenk der spanischen Partnerstadt Valencia.

 

Auf dem Platz vor dem Mainzer Rathaus stand bis 2011 auch eine riesige organische Skulptur des Künstlers und Dadaisten Hans Arp (s. S. 13). Sie war für zehn Jahre an das Arp Museum Bahnhof Rolandseck verliehen und kam im Mai 2021 nach Mainz zurück. Seitdem steht sie eindrucksvoll vor der Brücke zwischen Süd- und Nordmole im Mainzer Zollhafen. „Schlüssel des Stundenschlägers“ ist der Titel des schwergewichtigen Werks, das vier Meter zwanzig hoch und 800 Kilo schwer ist. Nach der Sanierung des Rathauses wird es dort wieder aufgestellt werden. Doch trotz des provisorischen Betonsockels kommt das Werk mit dem poetischen Titel am Wasser des Mainzer Zollhafens zu allergrößter Wirkung. 

 

Eher zufällig kommt man in Mainz in den Genuss einer Arbeit der Künstlergruppe „Inges Idee“. Ein grafisches Bilderrätsel aus übergroßen Streichhölzern befindet sich an der Außenwand des Neubaus der Mainzer Feuerwache II am Kaiser-Karl-Ring. Die vierköpfige Künstlergruppe „Inges Idee“ realisiert seit 30 Jahren „Kunst am Bau“-Projekte. Mitglied der Gruppe ist Thomas Schmidt, Professor an der Kunsthochschule Mainz. Die Arbeit „...Wehr“ stammt aus dem Jahr 2015 und hängt momentan leider etwas verstaubt an der Fassade des Feuerwehrgebäudes.

 

Von "Phoenix" bis zur "Boxhaltestelle" in Wiesbaden

"Phoenix" aus Edelstahl von Bernd Rosenheim am "Erbenheimer Kreisel"
"Phoenix" aus Edelstahl von Bernd Rosenheim am "Erbenheimer Kreisel"

Bernd Rosenheims „Phoenix“ nimmt man vielleicht nur während einer Autofahrt wahr. Die Skulptur steht in Wiesbaden an der Kreuzung Frankfurter Straße/New-York-Straße und schmückte ursprünglich die ehemalige Hauptpost. Als das Gebäude 2002 abgerissen wurde, sollte das auch das Ende des Phoenix’ sein, hätte die Initiative einer engagierten Wiesbadener Bürgerin die Skulptur des mythologischen Sonnenvogels nicht gerettet. Entsprechend dem Sinnbild erhob er sich der Phoenix aus der Asche und fand einen neuen Platz vor dem Gebäude der DBV Winterthur, auf einem grünen Hügel am Einfahrtstor von Wiesbaden. Durch den Schliff des Edelstahls entsteht bei Sonnenschein ein Lichtspiel im Material des abstrahierten Vogels und so lohnt es sich, ihn auch mal aus der Nähe zu betrachten.

 

Viel Kunst gibt es in Wiesbadens Freiluftgalerie am „Warmen Damm“, wo sich ab den 1960er-Jahren moderne Kunst zwischen das Denkmal für Kaiser Wilhelm I. und das Schiller-Denkmal vor dem Staatstheater gesellte. Einige Arbeiten wurden im Rahmen der Wiesbadener Skulpturentage oder einer Städtepartnerschaft gekauft. Die acht Meter hohe Plastik „Gaztelu“ des baskischen Künstlers Ricardo Ugarte de Zubiarrain erwarb Wiesbaden aus Anlass der 10-jährigen Partnerschaft mit San Sebastian. Sie besteht aus zwei U-Profilen aus Cortenstahl, deren Abschluss an die Zinnen einer Burg erinnert.

 

Die menschliche Figur war das Thema des griechisch-österreichischen Künstlers Joannis Avramidis. Wie vor ihm schon Leonardo da Vinci oder Le Corbusier, suchte auch er nach einer Formel für die idealen Proportionen des Menschen. Seine Bronzeskulptur „Große Dreierfigurengruppe“ von 1961 steht vor der Commerzbank, etwas zurückgesetzt von der Wilhelmstraße neben dem neuen Museum Reinhard Ernst. Der Künstler hat seine Formel immer wieder durchgespielt. Die Skulpturen sind immer an einer Mittelachse orientiert und horizontal in Segmente gegliedert. Wiesbaden besitzt sogar zwei seiner blockartigen Figurengruppen. In seiner Skulptur vor der Commerzbank verschmelzen drei und in einer Skulptur im Biebricher Schlosspark sogar sechs Figuren.

 

Zeitgenössische Kunst hat Wiesbaden im Rahmen der vergangenen Kunstsommer immer wieder angekauft und sie dauerhaft im öffentlichen Raum aufgestellt. Im Kunstsommer 2008 wurde die „Box-Haltestelle“ der Künstlerin Miriam Wetzel erworben. Dieser Kunstsommer fand unter dem Titel „12 am Ring“ statt und damals mussten sich die Installationen und Plastiken an der verkehrsreichen Straße behaupten. Die Künstlerin Miriam Wetzel hatte eine Bushaltestelle auf dem 1. Ring in eine „Boxhaltestelle“ verwandelt. Wer zu lange oder vergeblich auf den Bus warten musste, konnte seine Aggression an verschiedenfarbigen Boxsäcken entladen. Leider steht dieses Kunstwerk jetzt nicht mehr im öffentlichen Raum. Es fand einen einsamen Ort im Innenhof des Wiesbadener Kunsthauses, sicher vor Beschädigung, aber leider auch seiner Funktion beraubt.