Rhein-Main: Mekka der Glaskunst

Mainz-Wiesbaden ist weltberühmt für seine Glas(kunst)produktion – wiewohl, wer hier lebt, das kaum wahrnimmt. Industrieglas vom Mainzer Global Player Schott ist eben - so begehrt wie die Kunst -

werke, die die Taunussteiner Firma Derix Glasstudios im Künstlerauftrag umsetzt

 

Von Dorothee Baer-Bogenschütz

 

 

 

Er trägt weiße Sneaker und eine helle Freizeithose zum weißen Sweatshirt mit dunkelblauer Weste – etwa farblich abgestimmt auf den Gestaltungsauftrag für den Schweriner Dom, den er in Blautöne kleidet? Dazu eine Wollmütze. In dieser Montur betritt Günther Uecker in der kalten Jahreszeit seine nicht eben mollige Werkstatt, wie er sein Düsseldorfer Atelier nennt, und schaut wieder einmal prüfend auf zum lieben Gott. Genauer: Er inspiziert seine Entwürfe für die Glasfenster, in die er sich zu dessen Lobpreis wahrhaft mit Leib und Seele vertieft hat. Begeistert hatte der Künstler – der breiten Öffentlichkeit wegen seiner charakteristischen Nagelreliefs vor allem als „Nagel-Künstler“ bekannt und seiner Anhängerschaft zudem als hochreflektierter Künstlerphilosoph mit vielen Interessen und reichem Themenspektrum - eingewilligt, vier Fenster im Querhaus des mittelalterlichen Gotteshauses in Mecklenburg-Vorpommern frei nach seinen Vorstellungen neu zu konzipieren: ein Quartett der Schwergewichte im buchstäblichen wie übertragenen Sinne.

 

Der Auftrag stellt für Uecker eine willkommene Herausforderung dar. Er kann seine spirituelle Seite zeigen. Er darf eintauchen in seine eigenen

Glaubensgrundsätze, um für das Gebet in der Evangelisch-Lutherischen Domgemeinde ein atmosphärisch adäquates Ambiente zu schaffen, so dass hinter dem irdischen Licht eindrucksvoll das Überirdische hervorbricht und wir nach unserer Bestimmung fragen. Es ist eine fordernde Arbeit allein schon wegen der Dimensionen. Uecker ließ sich ein auf die Gestaltung von zwei zweibahnigen Fenstern und zwei dreibahnigen. Sie messen acht Meter in der Höhe und zwei beziehungsweise drei in der Breite.

 

Sobald er ans Werk geht, wird es ihm warm, vielleicht auch aufgrund der Eingebung von oben. Eine weiße Latzhose trägt Uecker dann gern über nacktem Oberkörper, bearbeitet auf dem Boden liegende Bildträger. Er läuft barfuß darüber, um mit blauer Farbe Bögen zu malen, die Licht evozieren und mit dem Maßwerk korrespondieren. 

 

Zunächst entstanden für den Dom Musterscheiben. Im vergangenen November starteten dann die Bauarbeiten für die „Biblia nova pauperum“, die neue Armenbibel, wie sie die Auftraggeber in Schwerin nennen. Im Austausch mit ihnen beschrieb der Künstler in schöner Handschrift poetisch, plastisch und eindrücklich, was er tut: „die lichten Träume von tragenden Säulen am Abgrund zum Meer einschmiegend mit dem Ellbogen“.

 

Die originalen Buntglasfenster des Doms sind nicht erhalten; die später eingesetzten Hauptfenster von Quer- und Seitenschiffen “lassen das Licht in die gotische Kathedrale fließen, aber sie formen es nicht“, hatte Domprediger Volker Mischok schon lange erkannt und plante eine Art Reset. “Die Fenster sind zu beschreibende leere Blätter“, so Mischok. Bevor er im September 2022 in den Ruhestand trat, konnte er Ueckers Projekt “Lichtbogen“ nach jahrelanger Inkubationszeit noch Gestalt annehmen sehen.

 

Für Uecker indes, gelernter Anstreicher und Schreiner, der 1961 Mitglied der Künstlergruppe ZERO geworden war, der Licht und Schatten immer schon nachspürt, bedeutet das himmelwärts ausgerichtete Projekt ein Stück weit nicht zuletzt, einen Kreis zu schließen in Bezug auf ein gefühltes Heimkommen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde er 1930 geboren, wuchs in Wendorf unweit von Schwerin und auf der Halbinsel Wustrow auf. Die DDR verließ der Ingenieurssohn mit dreiundzwanzig.

 

 

 

 

 

Das Band zum Schweriner Dom hält nun schon länger als ein Jahrzehnt: 2009, mit fast achtzig, bestritt Uecker in Schwerin die Ausstellung “Dialog”: Initialzündung für das aktuelle Fensterprojekt. Der Förderkreis Schweriner Dom e.V. trat damals an ihn heran und erbat von einem der gefeiertsten deutschen Künstler mit internationaler Reputation einen guten “Rat”. Überlegt wurde daraufhin gemeinsam, “was wir mit den vielen lediglich aus einfachem Glas bestehenden gotischen Fenstern machen könnten”, erinnert sich der Vereinsvorsitzende Thomas Balzer.

 

Domkirchengemeinde und Domförderkreis müssen rund 750 000 Euro für die Herstellung der Uecker-Fenster, die Reparatur des Mauerwerks und der Windeisen aufbringen. Bis zum Jahreswechsel hatte man rund die Hälfte des Betrags über Zuwendungen und Spenden zusammen. Jede Spende ist hoch erwünscht, ganz gleich, in welcher Höhe.

 

Konkret geworden war das Vorhaben 2017. Nachdem Uecker die Kirchenglocken in Rerik “gestaltet und gestiftet hatte, traf man sich im Schweriner Dom”, sagt Balzer. “2019 schickte er die Entwürfe, 2020 besuchten wir ihn in seiner Werkstatt in Düsseldorf.” Uecker habe damals “verinnerlichen“ wollen, „was der Lichteinfall zur Erhellung der Gläubigen beitragen kann”. Glaubensthemen sind ihm vertraut; mit den Friedensbotschaften im Alten Testament und mit dem Koran hat er sich befasst.

 

Seine Erläuterungen zu seiner Herangehensweise und dem spirituellen Hintergrund berühren zutiefst, gehen unter die Haut und zu Herzen. Der Auftrag erfüllt Uecker spürbar ganz und gar. Es sprudelt nur so aus ihm heraus, wenn er vorträgt, was er meint, wenn er malt: einen „Lichtbogen“ nämlich, „der uns ins Universum führt auf der Narbe unserer Verletzungen aus einer Quelle von Leben und seiner Gefährdung, unserer Verwundbarkeit, im Aufbegehren, im Überschreiten der Schwelle einer Endlichkeit, einer Vision aus der Tiefe unserer Herkunft, die Farbe geführt im Kreis.“ Ein ergriffenes „Amen“ möchte man unter diese Worte setzen und lange aufschauen ins Blau.