Literatur und Kunst in schwierigen Zeiten

Die Zeit, in der wir leben, ist zu einer extrem dynamischen geworden. Die Welt um uns herum verändert sich rapide. Sie wird dabei nicht unbedingt freundlicher. In solchen Perioden ist es für viele verlockend, entweder alles zu ignorieren, was um sie vor sich geht, oder sich an überholten Gewohnheiten und Vorstellungen festzuklammern. „Stört Literatur und Kunst etwa nur?“ – geht es manchen durch den Kopf. „Augen zu und durch“ führt als Strategie aber kaum mehr weiter. Genau hier setzen Literatur und Kunst an als Auseinandersetzung mit der Welt und den Geschehnissen.

 

Von Dr. Andreas Lukas

 

 

In den bisherigen Ausgaben von feuilleton haben wir die Literaturszene der Kulturregion MainzWiesbaden vom vielfältigen Spektrum her beleuchtet. Davon gehen jedes Jahr viele Impulse aus. Das Engagement dahinter ist vielfältig, sei es beim KrimiMärz, beim Welttag des Buches im April, bei der Mainzer Buchmesse für Kleinverlage, den Wiesbadener Literaturtagen, Mainz liest, Wiesbaden liest, den verschiedenen Literaturpreisen, dem Literaturfestival in Sonnenberg oder dem bundesweiten Vorlesetag im November. Anlaufstelle für viele Aktivitäten in den beiden Landeshauptstädten sind das Literaturhaus Clementine in Wiesbaden und das Literaturbüro e.V. in Mainz.

 

 

Auseinandersetzung mit der Welt

 

Im Sinne von Hannah Arendt, einer der wichtigsten Philosoph:innen des 20. Jahrhunderts, sind Literatur und Kunst eine Auseinandersetzung mit der Welt, ein Akt des Verstehens, Denkens, Urteilens und zugleich bereits eine Transformation. Es sind Werkzeuge, die Menschen immer schon verwendet haben, um mit schwierigen und hochkomplexen Situationen und Problemen fertig zu werden. Hier bietet sich ein breites Feld für die Literatur und das Schreiben. Und sie sind besonders notwendig, wenn die Lebensumstände widriger werden.

 

Ein immer wiederkehrendes Motiv in den schriftstellerischen Werken von Martin Walser ist das Scheitern am Leben: Seine Helden sind den Anforderungen, die ihre Mitmenschen an sie oder sie selbst an sich stellen, nicht gewachsen. Die inneren Konflikte finden sich immer wieder in Walsers Romanen wie in „Ohne einander“. Die Frage des Scheiterns am Leben kam mit der Pandemie in den zurückliegenden Jahren in einer bis dahin ungeahnten Form und Wucht auf uns zu.

 

In den Werken von Franz Kafka hat das literarische Motiv der Metamorphose eine zentrale Bedeutung. Es findet seinen Höhepunkt etwa in der Erzählung „Die Verwandlung“, in der sich ein Mensch über Nacht in ein Insekt verwandelt und daraufhin von der entsetzten Familie verstoßen wird.

 

 

Kompetenz für selbstbestimmtes Leben

 

Metamorphose steht für Veränderung und Wandel. Beides sind aktuell zentrale Herausforderungen, die so gut wie alle gesellschaftlichen Bereiche durchziehen. Und hier spielt die Literatur und Kunst eine wichtige Rolle. Dabei kommt es auch auf die vorhandene Wahrnehmungs- und Lesekompetenz an. Diese schon früh zu vermitteln, ist Ziel der vielen Aktivitäten und Veranstaltungen wie etwa rund um den Welttag des Buches im Frühjahr oder des bundesweiten Vorlesetags im Herbst.

 

„Lesekompetenz ist die Basis für Bildung und ein selbstbestimmtes Leben – dafür stärken wir das Bewusstsein in der Gesellschaft“, so ein Leitgedanke der Stiftung Lesen, die in Mainz ihren Sitz hat. Dazu ruft auch die Aktion „Ich schenk dir eine Geschichte“ zum Welttag des Buches Schüler*innen in den Schulen auf. 

 

Was steht also auf dem Programm der Literaturszene MainzWiesbaden in diesen Zeiten? Für die 23. Wiesbadener Literaturtage konnte z.B. die in Zagreb geborene Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras gewonnen werden. Ihr mitreißendes, literarisches Debüt „Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie“, wurde vor einigen Jahren ein Bestseller. Adriana Altaras vereine in ihrem literarischen Werk, in dem sich in großen Teilen auch ihre Herkunftsgeschichte widerspiegelt, bedeutsame Themen unserer Zeit, so Kulturdezernent Axel Imholz. Ihre bewegte Biografie als Tochter von Shoah-Überlebenden, die aus dem damaligen Jugoslawien nach Italien fliehen musste und schließlich in Deutschland aufwuchs, mache sie nicht nur zu einer wichtigen Stimme der gegenwärtigen jüdischen Kultur unseres Landes, sondern auch zu einer Botschafterin des innereuropäischen Dialogs. Dieser ist genauso konfrontiert mit den Veränderungen wie jeder einzelne von uns. 

 

 

Wie mit all dem umgehen?

 

Den Kopf in den Sand stecken, in Schwermut verfallen und sich dem Gedanken hingeben, dass wir uns so vor Veränderungen retten könnten, sind keine gangbaren Wege. Aber wie können oder sollen wir mit all dem umgehen?

Literatur hat dabei nicht den Anspruch auf endgültige Antworten. Aber es gelingt ihr, sich mit den Zeiterscheinungen auseinanderzusetzen, etwas ins Bewusstsein zu rücken und Orientierung zu geben. So begibt sich der diesjährige Poetikdozent an der Hochschule RheinMain Leif Randt auf die Suche nach neuen Einsichten und geht der Frage nach, wohin sich die Euphorie und das schlechte Gewissen entwickelt haben. Er lässt uns das sehen, wofür wir bisher noch keine Begriffe hatten.

 

Schon immer machte es Literatur möglich, Dinge zu verstehen, die uns sonst unverständlich bleiben. Ein arabisches Sprichwort sagt, ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt. So verstanden bietet Literatur – wie auch die anderen Felder der Kunst – Möglichkeiten zu sensibilisieren, Antworten zu entdecken auf Fragen und Herausforderungen. In diesem Sinne empfehlen wir als feuilleton den Blick auf das breite und vielfältige Spektrum der Literaturszene der Kulturregion MainzWiesbaden.

 

 

 


EINIGE HIGHLIGHTS FÜR WIESBADEN

 

Literaturkalender „Lesezeichen“ – ein monatliches Programm an ausgewählten Autor*innen und Büchern, Literaturhaus Villa Clementine, Wiesbaden

 

Literarisches Café zum Welttag des Buches – Bücher, die verbrannt wurden, 23.04. 2023 um 15:00 Uhr, Literaturhaus Villa Clementine, Wiesbaden

 

Literaturfestival „Ins Offene“, 28.06. bis 02.07.2023

Großes Literatur- und Lesefestival im Burggarten Sonnenberg in Wiesbaden: „Ins Offene“ bedeutet aufbrechen in die unendliche Vielfalt der Literatur.

 

23. Wiesbadener Literaturtage, 03. bis 09.09.2023

Adriana Altaras – Gastgeberin mit einem lebendigen und politischen Festivalprogramm

 

 


 

EINIGE HIGHLIGHTS FÜR MAINZ

 

26. Mainzer Minipressen-Messe, 18. bis 21.05.2023

Handelsplatz für Kleinverlagsbücher und Künstlerbücher, www.minipresse.de 

 

Mainzer Stadtschreiber-Literaturpreis

Hauptzweck ist es, Schriftsteller*innen „zu ehren, welche die deutschsprachige Literatur mit ihren Werken beeinflussen oder prägen und die sich darüber hinaus um das Zusammenwirken von Literatur und Fernsehen bemühen“.

Siehe unser Interview  mit dem neuen Mainzer Stadtschreiber Alois Hotschnig. 

 

Mainzer Büchermesse 2023, 04. bis 05.11.2023 in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Tradition und Moderne des Mediums Buch immer wieder neu vereint auf der Messe für das lokale Verlagswesen, die Buchwissenschaft, die Buchkunst und Leseförderung.